INTERVIEW
Von Betriebsrätin zur Arbeitgeberin
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_Als jahrelange Betriebsrätin und Gewerkschafterin  – wie ist das für dich, jetzt Chefin eines IT-Unternehmens zu sein?

Es ist natürlich erst einmal ein ungewohnter Perspektivenwechsel, an den ich mich gewöhnen musste. Es ist aber auch eine großartige Chance: Als ehemaliges Betriebsratsmitglied der MdB Mitarbeiter:innen der Linksfraktion im Bundestag und weiterhin Gewerkschafterin weiß ich, wie wichtig gute Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter:innen sind. Jetzt bin ich in der Lage, diese Werte bei Hivemind umzusetzen.

Interessant war vor allem die Erfahrung, wie schwierig es einem als Arbeitgeberin gemacht wird, gute Arbeitsbedingungen durchzusetzen. 

Vorlagen für Arbeitsverträge tendieren dazu, arbeitgeberfreundlich bis regelrecht ausbeuterisch zu sein. Rechtsberatungen von Fachanwälten haben oft das Ziel, Möglichkeiten aufzuzeigen, wie Arbeitsrecht umgangen werden kann. Das wollte ich natürlich nicht.

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_Was hast du bei Hivemind verändert?

Zuerst einmal haben wir unsere Arbeitsverträge aktualisiert, um mehr Urlaub und eine kürzere Vollzeit zu ermöglichen. Statt 24 Tage haben unsere Beschäftigten jetzt 30 Tage Urlaub, die Betriebsferien über Weihnachten nicht mit eingerechnet, die gibt es noch obendrauf.

Dazu haben wir eine Arbeitszeitverkürzung von 40 auf 38 Stunden vorgenommen. Perspektivisch wollen auf 35 Stunden heruntergehen, der nächste Schritt noch dieses Jahr sind 37 Stunden, soviel sei verraten. Außerdem haben wir festgeschrieben, dass wir keine Geschäfte mit fossilen Brennstoffen, Verteidigung und Überwachung machen, da wir die Welt für unsere Kinder erhalten möchten und unseren Beitrag dazu leisten wollen.

Wir setzen uns auch für mehr Diversität in der Arbeitswelt ein und wollen insbesondere Frauen bzw. nicht-Männer in der Technologiebranche fördern. Um dies zu erreichen, arbeiten wir sogar mit Headhuntern zusammen. Ein Problem ist, dass Frauen in den MINT Bereichen generell unterrepräsentiert sind. Darüber hinaus haben ein professionelles Einstellungsverfahren eingeführt, das toxische Personen vorab aussiebt. Wir dulden auch kein diskriminierendes oder sexistisches Verhalten bei unseren Kunden. In dieser Hinsicht gibt es leider noch viel zu tun.

_Gibt es bei Hivemind einen Betriebsrat?

Das ist ein schwieriges Thema für uns. Was machen wir, wenn die Arbeitnehmer:innen keinen Betriebsrat haben wählen? Ein gelber (vom Arbeitgeber eingesetzter) Betriebsrat ist keine Lösung. Deshalb ist es für mich umso wichtiger, das Wohl unserer Mitarbeiter in den Vordergrund zu stellen. Wir halten auch regelmäßig Mitarbeiter:innenversammlungen ab und holen uns Feedback von, um sicherzustellen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

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Sollte es mal zu einem Betriebsrat kommen würde ich mich freuen, denn die organisierte Mitbestimmung erleichtert ja für Arbeitgeber:innen auch vieles. Es ist auch das gute Recht der Beschäftigten, einen Betriebsrat zu gründen, wenn sie sich dazu entscheiden.

Gute Arbeitsbedingungen durchzusetzen kann eine Herausforderung sein, da die Beschäftigten oft den inneren Druck verspüren, auch dann zu arbeiten, wenn es ihnen nicht gut geht. Als Chefin achte ich jedoch darauf, dass die Urlaubstage eingehalten werden und dass die Leute wirklich nicht arbeiten, wenn sie krank sind. Schon mehrmals musste ich Leute nach Hause bzw. ins Bett schicken, die sich mit einer Erkältung zur Arbeit schleppen wollten oder vor dem PC Zuhause schniefen. Das Wohlbefinden unseres Teams geht immer vor.

Dazu gehört auch, dass wir "Stressquellen" eliminieren, bevor sie greifen können. Stressquellen sind z.B. das schlechte Gewissen, wenn Kinder krank sind, abgeholt werden müssen oder zum Kinderarzt müssen, Eltern, die gepflegt werden müssen. Sind Menschen gedanklich dort, können sie sich nicht gut konzentrieren oder kreativ sein. Deshalb sagen wir "Familie geht vor". Kümmert euch erst um diese Dinge und wenn ihr beruhigt sein könnt, dass alle versorgt sind, könnt Ihr auch gut arbeiten. Ein krankes Kind oder eine Mutter, die zum Arzt begleitet werden muss, ist für uns einfach kein Problem und kein Grund für Diskussionen.

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_Hivemind beschäftigt Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern. Welche arbeitsrechtlichen Herausforderungen bringt das mit sich? 

Wir haben aktuell Mitarbeiter:innen aus 7 verschiedenen Ländern, von der Türkei bis Portugal. Eine der Herausforderungen ist die Übersetzung der Arbeitsverträge in nationales Recht. Das kann manchmal ein echtes Problem werden, unsere Arbeitsstandards durchzusetzen, denn die Arbeitsbedingungen in einigen Ländern variieren deutlich. Wir bemühen uns, die Messlatte für unsere Mitarbeiter in Ländern mit einem schlechteren Arbeitsrechtsstandard immer höher zu legen, als gesetzlich vorgeschrieben (z.B. freiwillige Lohnfortzahlung im Krankheitsfall).

Deutschland liegt, was Arbeitnehmerrechte angeht, im Mittelfeld. Portugal, Spanien und Österreich stehen besser da. In Österreich gibt es z.B. nur eine einmonatige Probezeit und flächendeckende Tarifverträge. Die Arbeitsverträge werden von der Arbeiterkammer überprüft. Auch Überstunden werden entweder mit 1,5-fachem Lohn oder Freizeitausgleich vergütet. Dagegen dürfen bzw. müssen teilweise in Italien sogar Strafen und Suspendierungen im Arbeitsvertrag stehen, wie zum Beispiel bei betrunkenem Erscheinen zur Arbeit. Das arbeitnehmerfeindlichste Arbeitsrecht hat definitiv Großbritannien.